Thursday, 3 June 2010

Piraten als Umweltaktivisten?


Inzwischen ist der Kampf wieder aus dem medialen Fokus. Das heißt natürlich nicht, dass sich die Lage beruhigt hat. Hier eine Übersicht über die "Attacken" in 2010.


Folgende Gedanken habe ich schon vor einiger Zeit dazu verfasst. Ist nicht ganz aktuell, aber der Hintergrund ist noch derselbe:

“We got a black hawk down”. Es ist der 3. Oktober 1993. Ein Hubschrauber der US-amerikanischen Armee wird über Mogadischu abgeschossen. Bei dem anschließenden Rettungsversuch sterben 18 amerikanische Soldaten, ihre Leichen werden geschändet. Wenige Tage später sagt der an den Kämpfen beteiligte Sergeant Kevin Cook der New York Times: „Ich sehe nichts in diesem Land, was es wert wäre, dass unsere Leute dafür sterben.“ Und er fügt hinzu: „Das ist ein afrikanisches Problem. Sollen es Afrikaner lösen”. Die Regierung Clinton teilt diese Ansicht und beordert ihre Truppen, die im Rahmen der UN-„Operation Hoffnung“ Somalia stabilisieren sollten, zurück. Somalia versinkt in der Agonie.

Lange Zeit schaute die (westliche) Welt auf Ex-Jugoslawien, auf Afghanistan und den Irak. Doch seit einiger Zeit steht das Land am Horn von Afrika wieder im medialen Rampenlicht, denn Piraten treiben dort ihr Unwesen.

„Wir betrachten uns als Helden“, sagt Asad 'Booyah' Abdulahi. Er ist einer der somalischen Piraten, die seit Monaten Schiffe kapern und Lösegeld erpressen. 2008 waren es insgesamt 30 Millionen Dollar. „Das Hijacking betrachten wir nicht als etwas Kriminelles, sondern als einen Wegzoll“. Früher waren sie Fischer. Piraten mussten sie werden, weil nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung im Jahr 1991, Trawler der Industriestaaten in den ungeschützten Hoheitsgewässern die Fischbestände ausplünderten. Andere ausländische Schiffe verklappten an gleicher Stelle radioaktiven Müll. Einige Piraten berichten von Auseinandersetzungen mit den Fangflotten, ihre Boote seien zerstört worden.

Es ist ein Kampf David gegen Goliath. Und wie im antiken Mythos, ließ sich David etwas einfallen. Die tief im Wasser liegenden langsamen Tanker und Containerschiffe sind einfache Ziele. Mit Speedbooten und RPGs bringen sie die Schiffe in ihrer Gewalt. Die Entführungen verlaufen zumeist friedlich. Die Crews sind nicht bewaffnet und die Motivation philippinischer Seeleute, die millionenschwere Fracht mit ihrem Leben zu verteidigen, ist gering. Der Autor John S. Burnett bezeichnet die Schiffe als die „am niedrigsten hängenden Früchte des weltweiten maritimen Handels“. Sind die somalischen Piraten also moderne Robin Hoods? „Wir gehören keiner Gruppe an, wir sind Männer, die sich für ihre eigenen Interessen einsetzen. Und jeder von uns bekommt seinen fairen Anteil“, sagt ein blau verhüllter Mann in einer Dokumentation von Spiegel TV. „Die Welt

muss Somalias Probleme zu Kenntnis nehmen und helfen, die Regierung wieder einzusetzen“, fügt ein anderer hinzu.

Doch ganz so einfach ist es nicht, weiß Andrew Mwangura vom East African Seafarers' Assistance Programme im kenianischen Mombasa. Ihn rufen die Redereien an, wenn sie etwas über ihre gekaperten Schiffe und Besatzungen erfahren wollen. Er steht im Kontakt mit den Piraten. Mwangura schätzt, dass es derzeit etwa 3.000 bewaffnete Piraten in der Region gibt. Es sind keine einfachen Fischer, die sich und ihre Familie ernähren. Es sind mehrere gut organisierte Clans. Die Aufteilung der Beute funktioniere etwa so: 20 Prozent für die Bosse, die nach Einschätzung von Experten in Nairobi, Dubai oder London sitzen. 20 Prozent als Investition für zukünftige Aktionen. 30 Prozent für die Kämpfer auf dem Schiff und 30 Prozent für Regierungsbeamte. Die erfolgreichen Beutezüge haben sogar dazu geführt, dass die Konflikte zwischen den Clans kleiner wurden. Und die somalische Küstenökonomie wird durch die Piraten belebt. Eine regelrechte Zulieferindustrie ist – mangels Alternative – entstanden.

Für die Reedereien der Industriestaaten, und letztlich die Konsumenten bedeuten die Überfälle einen erheblichen Anstieg der Kosten, durch das Lösegeld und gestiegene Versicherungsprämien. Die Antwort der Industriestaaten ist eine militärische. Mittlerweile schützt eine Flotte von mindestens 14 Schiffen aus den USA, China, Indien, Russland und der Europäischen Union den wichtigsten Seeweg zwischen Europa und Asien. Eine bisher ungesehene Koalition der etablierten und aufstrebenden Mächte. Wie sieht ihre Bilanz aus?

Seit Beginn des Jahres wurden drei Schiffe entführt, zwölf weitere Angriffe scheiterten, teilweise durch Eingreifen der Kriegsschiffe. In Jahr 2008 wurden bei 111 Angriffen, 42 Schiffe gekidnappt. Ein wirklicher Rückgang kann also bisher nicht festgestellt werden. Das gesamte Einsatzgebiet ist ungefähr achtmal so groß wie die Bundesrepublik und schwer zu kontrollieren. Dennoch sagte Kay-Achim Schönbach, Kommandant der deutschen Fregatte Mecklenburg-Vorpommern, die seit Ende 2008 am Horn von Afrika im Einsatz ist: „Es ist zweifelsohne eine erfolgreiche Mission, auch wenn das jetzt mit Blick auf die Longchamp scheinbar anders aussieht“. Der Flüssiggastanker der deutschen Rederei Bernhard Schulte war Ende Januar trotz Schutzmaßnahmen entführt worden. Schönbach zufolge wird die Militärpräsenz die Übergriffe durch Piraten weiter einschränken. „Einen hundertprozentigen Schutz wird es nie geben“, räumte aber er ein. Admiral Philip Jones, Oberbefehlshaber der EU-Mission Atalanta stellte fest, „die Piraten lernen schnell und werden zweifellos neue Taktiken anwenden. Wir müssen unsere Operation auch auf die nächste Stufe bringen.“ Bei der Entführung der Longchamp hätten sehr viele Schiffe in Schwärmen angegriffen, so etwas habe man bislang nicht erlebt. Mitte Januar sei es Piraten sogar gelungen, sich in den Server zu hacken, über den sich Handelsschiffe über sichere Fahrtrouten am Horn

von Afrika informieren können, bestätigte Roland Vogler-Wander vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam. Sicher ist, die Piraten werden nicht aufgeben, ihr Geschäft ist geradezu alternativlos, sie haben Geld, Waffen und des nötige Know how. Früher oder später wird es daher eine Eskalation geben, warnt der Schifffahrtsexperte Jim Wilson. Was, wenn ein Kreuzfahrtschiff mit hunderten Passagieren gekapert werden sollte?

Experten sind sich einig, eine wirkliche Lösung des Problems liegt nicht auf dem Wasser, sondern an Land. Der Afrika-Experte Roger Middleton vom Londoner Think Thank Chatham House schreibt in einer Studie: „Die wirksamsten Waffen gegen Piraterie sind Frieden und ökonomische Perspektiven in Somalia“. Wie sieht es damit aus? Am 31. Januar wählte das somalische Parlament – aus Sicherheitsgründen im benachbarten Djibuti – den gemäßigten Islamisten Scheich Scharif Ahmed zum neuen Präsidenten des Landes. Die Wahl ist Teil eines UN-Friedensplans. Unmittelbar nach seiner Vereidigung erklärte Ahmed den Kampf gegen die Piraten zu einer zentralen Aufgabe. Zunächst jedoch will er das Land einen. „Ich strecke die Hand allen somalischen bewaffneten Gruppen aus“. Allerdings kontrollieren diese Gruppen große Teile des Landes. Ob und wann sie sich auf eine Zusammenarbeit mit der Regierung einlassen ist ungewiss. Für die Einigung Somalias mag die Ankündigung Ahmeds ein Anfang sein. Dass der neue Präsident tatsächlich etwas gegen die Piraterie tun kann, scheint zum jetzigen Zeitpunkt aber äußerst unwahrscheinlich.