Monday 30 August 2010

Interview mit John Sweeney

Sind die Gewerkschaften vorbereitet um auf die globale Wirtschaftskrise auf internationaler Ebene eine Antwort zu geben?

John Sweeney: Wir waren nicht so gut vorbereitet, als das alles begann. Wir hatten zwar eine Krise erwartet, aber nicht eine so schwerwiegende. Ich glaube aber, dass wir inzwischen gut vorbereitet sind. Die verschiedenen internationalen Gewerkschaftssekretariate und des Internationalen Gewerkschaftsbundes haben zahlreiche Studien herausgebracht. Und beim G20-Gipfel in Pittsburgh waren wir erstmals mit dabei und konnten unsere Forderungen vertreten. Ich war auch persönlich an einigen Gespräche beteiligt. Besonders beeindruckt hat mich Frau Merkel. Sie war auf den gleichen Linie wie Barack Obama, was die Notwendigkeit betrifft, ärmeren Ländern zu helfen, die Weltwirtschaft stärker zu regulieren und die Job-Krise anzugehen.

Ihre Kollegin von der polnischen Solidarnosz-Gewerkschaft Danuta Wojdat meinte, die Gewerkschaften hätten einen Fuss in der Tür. Aber wie können sie verhindern, dass die Tür nicht doch noch zugeschlagen wird?

Das Schlimmste steht ja noch bevor. Ende 2009 werden wir bis zu 60 Millionen Arbeitslose mehr haben als vor der Krise. Es könnten dann insgesamt bis zu 240 Millionen sein, die höchste je erfasste Zahl. Bei den Working Poor - also jenen, die weniger als zwei Dollar pro Tag verdienen - könnten es 200 Millionen zusätzlich sein, und insgesamt 1,4 Milliarden bzw. 45 Prozent aller Arbeitenden. Kurzfristig geht es daher darum, dass das Arbeitslosengeld verlängert wird. In den meisten Ländern reicht der bestehende Schutz nicht aus, er ist zu niedrig oder zu kurz.

Wie sieht es in den USA aus?

Wir haben derzeit 26 Millionen Arbeitslose oder Unterbeschäftigte.50 Millionen sind ohne Krankenversicherung. 2 Millionen Familien haben ihrer Häuser verloren. Zum Glück haben wir eine Obama-Administration in diesen schwierigen Zeiten. Unter Bush oder McCain wäre das Szenario vollkommen anders. Dann würden die Reichen mehr geschützt. Die Obama-Administration versucht mit Nachdruck die Krise zu meistern, sie ist sehr bemüht was, was die Jobsituation angeht, besonders bezüglich der stark betroffenen Arbeiter mit mittleren und niedrigen Einkommen.

Was konnten die Gewerkschaften in den USA bisher konkret erreichen?

Wir waren erfolgreich, bei der Verlängerung des Arbeitslosengeldes. Es wurde Anfang des Jahres über die bisherige Obergrenze von 26 Wochen verlängert. Aber wir brauchen mehr Geld für diese Fonds, die auf der Ebene der Bundesstaaten verwaltet werden. Und wir brauchen ein weiteres Konjunkturprogramm. Denn nur so kann der Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Kreditklemme und noch mehr Arbeitslosigkeit durchbrochen werden.

Das ist für die Kurze Frist. Wie sehen sie die längerfristige Entwicklung?

Da bin ich skeptischer. Wir stehen vor einem strukturellen Wandel. Da die Industrien, in denen die Gewerkschaften traditionell stark waren erodieren, müssen wir nun andere Sektoren organisieren. Die so genannten Green Jobs sind ein solcher Sektor. Die Bauarbeiter- und die Elektriker-Gewerkschaft haben schon viele Firmen im Bereich der Green-Jobs organisiert. Sie haben Trainings-Programme gemacht. Aber es muss viel passieren. Wir müssen mehr Ressourcen zur Verfügung stellen für solche Programme. Und unsere eigenen Mitgliedern erklären, wie wichtig das ist, für unserer Land und die Umwelt.

Aber stehen die Gewerkschaften nicht vor einem unlösbaren Problem. Nehmen wir z.B. die Autoindustrie. Es gibt ja eine Überkapazität von etwa 20-30 Prozent. Niemand wird jedoch sagen, dass man ein Werk bei sich schließt. Kämpfen die Gewerkschaften hier nicht umsonst?

Möglicherweise. Aber wer soll diese Entscheidung treffen? Sollten die Regierungen es tun?

In Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung wohl kaum. Wir haben hier ein Problem einen fehlende Akteurs. Dabei wäre es besser, das gesteuert runter zu fahren, als zu Warten, bis der Markt es tut. Der Europäische Metallgewerkschaftsbund hat kürzlich ein EU-Sondergipfel zur Bewältigung der Autokrise gefordert.

In den USA hat die Regierung Milliarden in das Bailout der Autoindustrie gesteckt. Es ist wahrscheinlich der stärkste staatliche Eingriff in unserem Land, mit Ausnahme des zweiten Weltkriegs. Auch im Finanzsektor. An der Wall-Street denken vielleicht einige, es ist vorbei. Business as usual. Aber wenn AIG Geld von der Regierung annimmt, und einen substantiellen Teil davon als Bonus an Management auszahlt, ist das eine Schande. Sie verstehen es einfach nicht.

Ist die Krise also keine Chance für die Gewerkschaften?

Doch. In der Krise wussten viele nicht, an wen sie sich wenden sollen, sie hatten niemand der sie vertritt. Sie haben ihre Häuser verloren, ihre Rentenansprüche. Diese Leute hatten bisher nie harte Zeiten gekannt. Sie hatten gute Jobs. Nun suchen sie Rat bei uns. Schon der Enron-Skandal vor einigen Jahren hat gezeigt, wie schlimm die Auswirkungen auf die White collar Angestellten der Finanzindustrie sind, die nicht gewerkschaftlich organisiert waren. Sie verstehen jetzt den Wert von Gewerkschaften. Dass man die Probleme nicht immer einzeln lösen kann. Im ganzen Finanzsektor, an der Wall-Street haben die Angestellten Todesangst. Wir setzen uns für eine Veränderung der Arbeitsgesetze ein. Mit dem Employee Free Choice Act wollen wir erreichen, dass sich jeder Arbeiter einer Gewerkschaft anschließen kann, ohne dafür vom Arbeitgeber bestraft oder diskriminiert zu werden.

Wann soll das passieren?

Barack Obama hat mir persönlich gesagt. Zuerst kommt das Thema Gesundheit. Er sagte, ich werde so hart arbeiten wie ich kann, um den Kongress zu überzeugen. Danach geht es um den Employer Free Choice Act und das Thema der Rentenansprüche. Ich bin optimistisch, denn wir haben eine Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus.

Sie und andere haben betont, dass die gewerkschaftliche Zusammenarbeit auch über Grenzen hinweg funktionieren muss. Aber wie soll das konkret aussehen?

Das ist häufig schwierig. Wegen der vielen Unterschiede in Sprache, Kultur und Gesetzgebung. Die Zusammenarbeit ist aber notwendig. Viele europäische Firmen, die sich in den USA niederlassen, haben in Europa gute Beziehungen mit den Gewerkschaften. In den USA werden sie zu den gewerkschaftsfeindlichsten Arbeitgebern. Zum Beispiel in der Kleidungsindustrie oder im Baugewerbe. Sie gehen in die Südstaaten, wo es wenig Gewerkschaften gibt. Sie bekämpfen die Gewerkschaften und stellen Arbeiter ein, die aus gewerkschaftsfreien Betriebe kommen.

Gehören zu der internationalen Zusammenarbeit nicht auch die Chinesen? Bisher sind sie nicht Mitglied im Internationalen Gewerkschaftsbund.

Ja, aber es gibt Bedenken, über deren Beziehungen zur chinesischen Regierung. Wir hatten Gespräche mit regionalen Vertreter. Und einige unsere asiatischen Mitglieder - Japan und Australien - haben regelmäßige Beziehungen zu den Chinesen. Aber bestimmte Richtlinien oder Standards müssen erfüllt sein. Wir können nicht einfach eine Organisation aufnehmen, die nicht die gleichen Werte hat. Der Trend geht in Richtung einer stärkeren Zusammenarbeit.

Sie sind vor kurzem vom Amt des Präsidenten von AFL-CIO ausgeschieden.

In den letzten Jahren haben die Leute mich immer öfter gefragt, wann ich in Rente gehen würde. Ich habe immer gesagt: Wenn wir einen Demokrat im Weißen Haus, und eine Mehrheit in beiden Häusern haben. Das haben wir letztes Jahr geschafft. Auch Dank einer bemerkenswerten Unterstützungskampagne der Gewerkschaften für Obama. Ich bin jetzt 75, es ist Zeit. Ich bin seit mehr als 50 Jahren in der Gewerkschaftsbewegung. Ich bleibe aber aktiv. Die Arbeit auf der internationalen Ebene genieße ich sehr, die Beziehungen, die wir über die Jahre aufgebaut haben in all den Ländern. Wir lernen ein Menge voneinander. Und das ist gut für unsere Mitglieder.

Zur Person
John Sweeney, geboren 1934, war von 1995 bis September 2009 Präsident von AFL-CIO, dem mitgliederstärkste Gewerkschaftsdachverband der USA. Er ist Vizepräsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes.

No comments:

Post a Comment